Wo Inklusion scheitert

Der 15-jährige David Yilmaz aus Ingolstadt kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Am 1. und 2. März absolviert er ein Praktikum im Café von „District Five“. Die Suche nach einem Praktikumsplatz für ihren Sohn war für Nesrin Yilmaz ein Kampf – mal wieder
Wer mit Nesrin Yilmaz spricht bekommt schnell einen Eindruck davon, wie weit der Weg zur vollständigen Inklusion auch heute noch ist. Ihr Sohn David kam vor 15 Jahren mit Trisomie 21 auf die Welt. Die Behinderung, auch bekannt als Down-Syndrom, wird durch eine Mutation des Erbguts verursacht. Aktuellen Studien zufolge kommt weltweit jedes 700. Neugeborene mit Down-Syndrom zur Welt. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das Verständnis für Menschen mit Down-Syndrom in Deutschland schon stark ausgeprägt, doch Nesrin Yilmaz ist das noch nicht genug. Es werde viel und gerne von erfolgreicher Inklusion geredet, erklärt die Ingolstädter Gastronomin, doch die Realität sehe oft anders aus.
Krippe, Kindergarten, Schule, Praktikum
Yilmaz kämpft seit Jahren für die Rechte ihres Sohnes. In Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Für die Ingolstädterin jedoch steht fest: „Inklusion hat nie richtig stattgefunden.“ Der Ärger der alleinerziehenden Mutter ist nachvollziehbar. Seit Davids Geburt muss Nesrin Yilmaz um jedes Stück Gleichberechtigung ringen, sei es in der Kinderkrippe, im Kindergarten, in der Schule oder jetzt bei der Praktikumssuche. Die alleinerziehende Mutter klagt: „Irgendwann ist die Grenze erreicht!“
Der 15-jährige David besucht derzeit die Caritas-Förderschule St. Vinzenz und kommt ins berufsschulpflichtige Alter. Körperlich ist er fit, seine Mutter beschreibt ihn als muskulös und sagt, geistig sei David auf dem Niveau eines Zehnjährigen. Das Problem: Es fehlen für David die beruflichen Perspektiven. „Eine Eingliederung ist kaum möglich“, klagt Nesrin Yilmaz. Die Arbeit in Behindertenwerkstätten empfindet sie eher als Ausgrenzung denn als gelungene Inklusion. „Der Staat muss neue, modernere Wege finden“, fordert sie.
„Jugendliche wie mein Sohn sind auch ein Teil der Gesellschaft“
Bei der Suche nach einem Praktikumsplatz sind die Probleme wieder einmal offensichtlich geworden. Zunächst fand sich kein Betrieb, der dem 15-Jährigen ein Schnupper-Praktikum ermöglichen wollte. Natürlich brauche ihr Sohn während des Praktikums eine besondere Betreuung, so Yilmaz, trotzdem sei es für sie nicht zu begreifen, dass sich in der ganzen Stadt keine Firma für ihn fand. „Jugendliche wie mein Sohn sind auch ein Teil der Gesellschaft“, betont die Ingolstädterin.
Deshalb absolviert David nun ein zweitägiges Praktikum im Café von „District Five“ in der Donaustraße. Caféinhaber Tobias Stehle hat vor vielen Jahren seine Lehre im Lokal von Nesrin Yilmaz absolviert und in dieser Zeit eine enge Bindung zu David aufgebaut. „David sieht in Tobias einen großen Bruder“, sagt Nesrin Yilmaz. Diese große Zuneigung ist für Menschen mit Down-Syndrom nicht selbstverständlich. Am 1. und 2. März also wird David im Café die Gäste begrüßen und in die Arbeitsabläufe des Cafés hineinschnuppern. „Downies“, so Yilmaz, „sind lustig, nett und bringen viel Freude in einen Betrieb.“ Das Kurz-Praktikum bei „District Five“ ist für David ein Glücksfall. Er ist schon voller Vorfreude auf die zwei Tage und würde am liebsten noch viel länger dort arbeiten. Doch die zwei Tage seien ein guter Anfang, findet Davids Mutter. Im Frühjahr dann darf der 15-Jährige ein paar Tage in einer Druckerei mithelfen.
Wie kann Inklusion auch im Berufsleben gelingen?
Die Kurz-Praktika sind ein erster Schritt. Doch Yilmaz fragt: „Was wird aktuell getan für die Inklusion in der Berufswelt?“ Die alleinerziehende Mutter sieht die Politik in der Pflicht, Alternativen zu den Behindertenwerkstätten zu schaffen. Sie will mit dem Beispiel ihres Sohnes vorangehen, um auch anderen Müttern von Down-Syndrom-Kindern zu zeigen, dass sich der Kampf lohnen kann. Dabei setzt Yilmaz bei der Suche nach einer künftigen Praktikumsstelle auch auf die Unterstützung der Stadt. Sie wünscht sich ein Pilotprojekt, das Jugendlichen wie ihrem Sohn ein Praktikum oder eine Lehre mit spezieller Betreuung ermöglicht. Sie stellt sich vor, dass ihr Sohn zum Beispiel als Helfer eines Gesellen eine eigene Betriebsausbildung absolvieren könnte. Zuschüsse für diese Ausbildung müssten vom Staat kommen, damit Betriebe den Anreiz haben, Menschen mit Down-Syndrom einzustellen. Ohnehin sieht Yilmaz den Staat in der Pflicht, die Voraussetzungen für erfolgreiche Inklusion zu schaffen.
Bis dahin müssen Frauen wie sie wohl weiter kämpfen.
[…] Hier lest ihr den ersten Bericht über Davids Praktikum: http://district-five.de/inklusion/ […]